Das eigentliche Problem hinter der Impfdebatte

Eine Spritze
Eine Spritze (Cc-BY-SA-3.0) | Bild: Armin Kübelbeck

Ich hatte mich wegen der Aktualität des Themas und eines gewissen Ärgers der mich immer befällt wenn ich Diskussionen dazu verfolge dazu entschlossen, meine Gedanken niederzuschreiben. Diese Niederschrift meiner Meinung wurde vom Onlinestandard schließlich als Userkommentar veröffentlicht. Im Forum zum Artikel wurden von Usern interessante weitere Punkte angesprochen, aber auch Kritik an meiner Meinung geäußert. Zu einigen dieser Posts werde ich ab Seite 2 Stellung nehmen bzw. einfach meine Gedanken dazu niederschreiben. Ich mache dies hier, da ich das Standardforum zwar schätze, es mir aber eigentlich zu unübersichtlich ist und ich nichts von der Bewertungsmechanik (rot und grünstricherln vom Meinungen) halte.

Mit meinem Kommentar wollte ich zu einer Entspannung der Debatte beitragen und eine mögliche (und nachvollziehbare) Erklärung für die Motive von Impfkritikern präsentieren. Ich erhebe damit keinen Anspruch auf Vollständigkeit – nachdem ich mich aber viel mit der Situation beschäftigt habe erscheint mir die geschilderte Hypothese vom Vertrauensverlust in Institutionen zumindest ein wichtiger Faktor zu sein.

Der Artikel

So aktuell wie noch nie ist sie in diesen Tagen in Zentraleuropa die Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen von Impfungen. Im Gegensatz zu den USA, wo das Thema seit Jahren durch die Medien geistert und auch von Wissenschaftsblogs regelmäßig aufgegriffen wird. Ich umschiffe hier bewusst den Begriff der „Diskussion“, denn ein nüchternes Auseinandersetzen mit Fakten scheint inzwischen kaum mehr möglich. All das ist zu einem sehr emotionalen Thema geworden, und die Frage drängt sich auf, weshalb das so ist.

Im Gegensatz zu anderen Kommentatoren glaube ich den Knackpunkt weder in der zugeschriebenen „Arroganz“ der Befürworter noch in der „Dummheit“ der Impfgegner zu orten. Beide Gruppen haben – wenn man sich in die jeweilige Situation versetzt – gute Gründe für ihre Standpunkte. Auch halte ich nichts von der Wortwahl „Hetzjagd“, wie sie von Michael Hufnagel im Userkommentar zu diesem Thema getroffen wurde, trägt es doch nicht zu einer Verständigung zwischen den Gruppen bei, sondern vertieft den Graben.

Die Statistik ist eindeutig

Grundsätzlich lässt sich die Frage auf eine zentrale Abwägung herunterbrechen: Überwiegt das Risiko von Impfnebenwirkungen das Risiko von Komplikationen im Fall der Erkrankung? Es gibt zum Beispiel vom Bundesamt für Gesundheit in der Schweiz eine gut aufbereitete Statistik, welche diese Frage bezogen auf Masern- und MMR-Impfung eindeutig beantwortet. Komplikationen treten im Fall der Erkrankung mit drastisch höherer Wahrscheinlichkeit auf.

Vertrauensverlust in Politik, …

Das Problem liegt also nicht in der Verfügbarkeit entsprechender Studien oder Statistiken, sondern darin, als wie vertrauenswürdig diese oder die Personen, die sie kommunizieren, bewertet werden. Ein Großteil der Debatte ist deshalb dem Vertrauensverlust der Bevölkerung in Politik, Wirtschaft und leider auch in die Wissenschaft geschuldet.

Es wird oft belächelt, wenn es heißt, Politiker hätten eine Vorbildfunktion. Aber genau das Nichterfüllen dieser Anforderung, die ungenierte Korruption, die sich in den letzten Jahren in vielen Bereichen einen Weg ans Licht der Öffentlichkeit gebahnt hat, ist ein großer Punkt. Ich bin trotz der vielen Fälle in der Vergangenheit nicht der Meinung, dass alle Politiker käuflich sind, aber kann man es jemandem verübeln, diesen Eindruck zu haben? Und wenn sich nun ein Politiker für Impfungen ausspricht, ist es wirklich so abwegig, skeptisch zu sein, ob er sich diese Meinung aufgrund von Fakten gebildet hat oder aufgrund einer in irgendeiner Form erhaltenen Zuwendung eines Pharmakonzerns?

… Unternehmen, …

Das führt auch nahtlos zum nächsten Punkt. Es ist klar, dass Unternehmen das Ziel haben, Gewinn zu machen. Wenn das jedoch zum Selbstzweck wird und über allen anderen Überlegungen steht, Studien gekauft werden oder Lobbying für Gesetzesvorlagen mit Blick auf Gewinnmaximierung erfolgt, ohne auf Nachteile, die das für die Gesellschaft mit sich bringt, Rücksicht zu nehmen – kann es jemandem verübelt werden, den Informationen von Pharmazieunternehmen skeptisch gegenüberzustehen? Das bringt mich auch zum dritten Akteur – den Wissenschaftern.

… Wissenschaft

Einerseits gibt es wie überall auch hier schwarze Schafe. Studien mit mangelhafter Methodik werden als bahnbrechende Erkenntnis verkauft, auch die Fälschung von Ergebnissen kommt vor. Besonders im Fall der Auftragsforschung besteht das Risiko, dass die wissenschaftliche Unvoreingenommenheit nicht gewährleistet ist oder nicht „passende“ Ergebnisse vom Unternehmen einfach nicht freigegeben werden. Während Wissenschaft zwar ihre Fehler im Verlauf der Zeit erkennt und korrigiert, kann man jemandem, der kein Wissenschafter ist, ein gewisses Misstrauen übel nehmen?

Zweifel an Verlässlichkeit und Motiven

Wenn nun also für eine Person ausreichend Zweifel an der Verlässlichkeit oder den Motiven der obigen drei Gruppen besteht, wie soll dann das Verhältnis von Risiko durch Impfkomplikationen zu Risiko durch Krankheitskomplikationen bewertet werden? Man sucht sich der eigenen Einschätzung nach vertrauenswürdige Quellen. Diese können im Bekanntenkreis zu finden sein, aber auch durch Websites und Onlinecommunitys verkörpert werden. Es hat nichts mit Dummheit oder Naivität zu tun, es ist genau genommen eine sehr nachvollziehbare Entscheidung. Es ist eine logische Konsequenz von erodiertem Vertrauen in Institutionen, deren wichtigstes Kapital die Vertrauenswürdigkeit ist.

Man muss Institutionen vertrauen

Eine Gesellschaft kann aber nicht funktionieren, wenn man sich auf bestimmte Dinge nicht verlassen kann. Ja, man könnte in diesem Zusammenhang vielleicht auf Kants Ausweg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit verweisen, aber das greift doch zu kurz. Es kann nicht jeder Experte auf jedem Gebiet sein, und faktisch interessiert auch nicht jeden die Beschäftigung mit jedem Gebiet, oder es fehlt schlicht die Zeit.

Jeder muss sich in irgendeinem Bereich auf etwas verlassen, das er oder sie nicht vollständig versteht. Daher ist es wichtig, dass es Institutionen gibt, denen entsprechend Vertrauen entgegengebracht werden kann. Damit möchte ich nicht für eine bedingungslose „Obrigkeitshörigkeit“ plädieren. Kritisches Hinterfragen und Abwägen von Fakten ist immer notwendig. Aber sobald der Vertrauensverlust groß genug ist und selbst die Fakten in Zweifel gezogen werden – wo existiert dann noch eine Basis für eine nüchterne Diskussion? Wie soll man einen Ausweg aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ finden, wenn man kritisch denkt, aber den Fakten nicht vertraut und keine Möglichkeit hat, diese mit der richtigen Methodik selbst nachzuprüfen?

Für eine Abkühlung der Debatte

Dieser Userkommentar soll für ein besseres gegenseitiges Verständnis und für eine Abkühlung der Debatte sorgen. Die Motive und Ängste von beiden Seiten sind nachvollziehbar. Aber um eine Lösung zu finden, muss von den drei Akteuren daran gearbeitet werden, verspieltes Vertrauen wieder aufzubauen – und das ist ein mühsamer Prozess. Und natürlich müssen sich Impfbefürworter und -kritiker gegenseitig zuhören, daher ist ein milderes Klima in dieser Debatte dringend notwendig.

Als Wissenschafter, der sich privat viel mit dem Thema beschäftigt hat, bin ich klar von der Sinnhaftigkeit von Impfungen überzeugt, und aus dieser Perspektive ist mein Kommentar auch verfasst. Ich nehme mir heraus, mich so weit wie möglich selbst zu informieren und die Dinge kritisch zu hinterfragen. Das widerspricht sich nicht. Es ist möglich, Impfbefürworter und dennoch kritisch zu sein.

Johannes Horak
Johannes Horak hat sein Physikstudium an der Universität Wien mit Schwerpunkt Quantennanophysik abgeschlossen. Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Ernst-Mach-Institut auf dem Gebiet der Laser-Materie Wechselwirkung. Von Dezember 2015 bis Juni 2020 war er an der Universität Innsbruck tätig und beschäftigte sich mit der feineren Auflösung von globalen Klimamodellen in Gletscherregionen. Beginnend mit Juni 2020 arbeitet er für die Stadt Linz als Stadtklimatologe.

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