Können Menschen Infrarotstrahlung sehen?

Brechung von Licht am Prisma
Brechung von Licht am Prisma. (CC-BY-SA-3.0) | Bild: Cepheiden

Auf Anhieb wäre die Antwort auf diese Frage vermutlich ein klares Nein. Kürzlich wurde allerdings ein Paper publiziert das mich einerseits dazu brachte, mich etwas genauer mit dem menschlichen Auge auseinanderzusetzen, und andererseits eine für mich unerwartete Antwort lieferte. Bereits vor über 75 Jahren haben sich Forscher systematisch mit der im Titel dieses Beitrags gestellten Frage beschäftigt, und so auch erst kürzlich wieder. Dabei waren Wissenschaftern bei Laborarbeiten mit einem Infrarotlaser ($1060\;\text{nm}$) immer wieder „blassgrüne“ Lichtblitze aufgefallen. Mit einem Überblick darüber wie unser Auge funktioniert und was der vermutete Mechanismus ist, der es uns ermöglicht auch etwas langwelligeres Licht als das im sichtbaren Spektrum noch zu sehen, damit beschäftigt sich dieser Artikel.

Das menschliche Auge

Da wir uns damit befassen, was Menschen sehen können sollten wir einen kurzen Blick auf das menschliche Auge werfen. Ein großartiger etwas ausführlicherer Überblick findet sich in den Feynman Lectures Band 1. Diese sind auch online abrufbar und nicht nur auf dieses Thema bezogen absolut lesenwert.

Fangen wir von vorne an. Weshalb sehen wir überhaupt etwas? Licht tritt durch die Hornhaut in ein Auge ein, wird durch die Linse fokussiert und auf die Netzhaut abgebildet. Die Netzhaut ist nicht einheitlich in ihrer Beschaffenheit, aber grundsätzlich befinden sich auf ihr Stäbchen- und Zäpfchenzellen, wobei erstere dafür verantwortlich sind, dass wir auch bei schwachem Licht etwas sehen, und zweitere dafür, dass wir Farben wahrnehmen. Ich schreibe das hier kurz mal etwas abgesetzter nieder, da – wenn man sich im weiteren Verlauf des Textes nicht mehr sicher ist – es so einfacher ist nachzusehen was was ist:

  • Stäbchen: Sehen bei sehr wenig Licht (keine Farbwahrnehmung)
  • Zäpfchen: Sehen bei Tageslicht, Drei Arten, daher Farbwahrnehmung

Wie bereits erwähnt sind diese auch unterschiedlich auf der Netzhaut verteilt. Während sich fast alle Zäpfchen in einer zentralen Region namens Fovea Centralis befinden (welche uns aufgrund der hohen Dichte an Fotorezeptoren das Wahrnehmen von Details ermöglicht) verteilen sich die Stäbchen auf den Bereich darum herum. Im Blinden Fleck hingegen gibt es – aufgrund des dort befindlichen Sehnervs – gar keine Fotorezeptoren.

Verteilung der Photorezeptoren im Auge entlang einer Linie durch die Fovea Centralis.
Verteilung der Photorezeptoren im Auge entlang einer Linie durch die Fovea Centralis. Quelle unter CC-BY-SA-3.0 von Cmglee

Nun ist es noch wichtig anzumerken, dass es drei verschiedene Arten von Zäpfchen gibt. Dadurch kommt unsere Farbwahrnehmung erst zustande! Mit nur einer Art von Zäpfchen könnten wir höchstens unterscheiden ob viel oder wenig Licht ankommt – wird würden also in Graustufen sehen. Erst wenn mindestens zwei Zäpfchenarten existieren, kann auch Information über die Zusammensetzung (Farbe) des Lichtes gewonnen werden.

Beim menschlichen Auge ist eine Art im kurzwelligeren Bereich des sichtbaren Spektrums empfindlicher, die zweite im mittelwelligeren und die dritte schließlich im langwelligeren. Das ganze ist ewas anschaulicher in der folgenden Abbildung zu sehen – diese basiert auf Daten von Bowmaker (1980). Die Abbildung zeigt die spektrale Absorptivität der Netzhautzellen in Abhängigkeit der Wellenlänge für die Stäbchen (S), kurzwellige Zäpfchen (K), mittelwellige Zäpfchen (M) und langwellige Zäpfchen (L). Gut erkennbar ist, dass die Maxima der Kurven bei unterschiedlichen Farben/Wellenlängen liegen. Quelle für Daten: Bowmaker 1980.

Die spektrale Absorptivität der Netzhautzellen in Abhängigkeit der Wellenlänge für die Stäbchen (S), kurzwellige Zäpfchen (K), mittelwellige Zäpfchen (M) und langwellige Zäpfchen (L). Gut erkennbar ist, dass die Maxima der Kurven bei unterschiedlichen Farben/Wellenlängen liegen. Quelle für Daten: Bowmaker 1980.
Die spektrale Absorptivität der Netzhautzellen in Abhängigkeit der Wellenlänge.

Das gibt übrigens einen Hinweis darauf, wie die verschiedenen Arten von Farbenblindheit zustande kommen! Ohne L oder M Zäpfchen können zum Beispiel Farben im Grün-Gelb-Roten Spektrum nicht unterschieden werden.

Außerdem stoßen wir noch auf ein weiteres interessantes Faktum: Bei sehr schwachem Licht sehen wir nicht in Farbe! Erst wenn ausreichend Licht auftrifft werden die Zäpfchen aktiviert die uns das Farbsehen ermöglichen. Bei schwachem Licht sind die Stäbchen zuständig, und von diesen gibt es nur eine Variante diese arbeitet am besten bei ca. $505\;\text{nm}$.

Und damit sind wir an der Stelle wo wir feststellen könnten – eigentlich sollte Infrarotstrahlung für Menschen unsichtbar sein. Die Absorptivität der Zäpfchen ist einfach viel zu gering! Schon bei $680\;\text{nm}$ absorbieren unsere L-Zäpfchen nur mehr ca. $6$% der einfallenden Gesamtstrahlung.

Das so zu formulieren ist natürlich in gewisser Weise ein Zirkelschluss – immerhin kommt ja die Bezeichnung „Infrarot“ daher, dass es sich um Strahlung jenseits von uns als rot wahrgenommenen Lichtes handelt (lat. infra: unterhalb/unter). Damit ist schon impliziert, dass wir von Strahlung reden, die wir nicht sehen können. Allerdings konnten wir jetzt den Grund dafür identifizieren, weshalb dem so ist – die Zellen in unserem Auge absorbieren einfach immer weniger Strahlung größerer Wellenlänge.

Übrigens habe ich bis jetzt immer von absorbieren bzw. Absorption gesprochen. Wieviel von der an Stäbchen oder Zäpfchen absorbierten Strahlung tatsächlich zu einer Wahrnehmung führt ist wieder eine andere Geschichte. Es zeigt sich jedoch, dass die Sensibilitätsmaxima in etwa bei den Absorptionsmaxima liegen (Schnapf 1987). Ach ja, und, dass unsere Augen denen von Makaken sehr ähnlich sind.

Aber eigentlich gehts doch

Schon spätestens 1936 wurden Experimente durchgeführt (Goodeve 1936) die versuchten festzustellen, ob das menschliche Sehen tatsächlich auf jenes schmale Band zwischen ca. $380-780\;\text{nm}$ beschränkt ist. Es stellte sich heraus, dass dies in gewissem Maße möglich ist und bei bis zu $900\;\text{nm}$ noch eine Wahrnehmung ausgelöst werden kann.

Detaillierter betrachtet wurde dies im Anschluss von Griffin (1947). In diesen Untersuchungen fanden die Forscher heraus, dass ab ca. $800\text{nm}$ die Stäbchen für Infrarot Strahlung sensibler werden als Zäpfchen und diese daher wahrgenommen werden kann! Allerdings beträgt bei $1050\;\text{nm}$ die Sensitivität der Stäbchen nur mehr das $3\cdot 10^{-13}$ fache der maximalen Sensitivität bei $505\;\text{nm}$.

Tatsächlich gelang es in weiteren Studien (Dmitriev et al. 1979) sogar den Nachweis noch bis $1355\;\text{nm}$ zu erbringen.

Und wie funktionierts?

Die Autoren des Papers Palczewska, Vinberg und Stremplewski (2014) berichteten wie Eingangs erwähnt bei Laborarbeiten blassgrüne Lichtblitze gesehen zu haben. Quasi von der Neugier gepackt haben diese daraufhin nachgeforscht und ihre eigenen Beobachtungen erweitert und systematisiert. Dabei konnten sie abhängig von der Laserwellenlänge, -leistung und Pulsdauer verschiedene Mechanismen identifizieren welche Infrarotstrahlung für uns sichtbar machen.

Das ist ein guter Zeitpunkt um kurz zu betrachten was passiert wenn nun ein Photon auf einen Photorezeptor (Zäpfchen und Stäbchen) auftrifft. Im Idealfall wird es absorbiert und tritt einen Prozess los der dazu führt, dass auch tatsächlich ein elektrischer Impuls entsteht welcher im Gehirn verarbeitet werden kann. Für die Stäbchen heißt das Stichwort hierbei Rhodopsin- bzw. Retinal/Retinol-Zyklus. Ein Zyklus deshalb weil das Seherlebnis sonst einmalig und eher kurz bemessen wäre. Am Ende dieses Kreislaufs ist wieder alles bereit für die erneute „Umwandlung“ eine Photons in einen elektrischen Impuls.

Prinzipiell konnten zwei Wellenlängenbereiche unterschieden werden – unterhalb von $1040\;\text{nm}$ erschien die Infrarotstrahlung als rot und über $1040\;\text{nm}$ in etwa in der Farbe der halben Wellenlänge.

Der Bereich unterhalb von $1040\;\text{nm}$ dürfte durch einen ein-Photon-Prozess erklärbar sein – also der gerade zuvor beschriebene Vorgang: Ein Photon wird absorbiert (1PA) und der Zyklus angestoßen. So weit so gut. Die eigentliche Schwierigkeit hierbei lag darin zwischen verschiedenen Erklärungsvarianten unterscheiden zu können. Eine Möglichkeit dafür ist es, die Laserleistung bzw. -intensität zu variieren und nachzusehen ob die Änderung einer Größe linear passiert. Anschaulich würde man für 1PA nämlich folgendes erwarten:

Nehmen wir an bei einem idealen Versuch wurden von 100 Photonen 5 absorbiert. Dann erhöhen wir die Leistung so, dass nun 200 Photonen zur Verfügung stehen. Wir starten das Experiment und stellen fest, dass nun 10 absorbiert wurden. Für 300 Photonen wären es 15 absorbierte, und würden wir das Experiment mit 1000 Photonen durchführen, so würden 50 absorbiert werden. Ein sehr einfacher Zusammenhang der sich – würde man ihn in ein Diagramm plotten – in Form einer Linie darstellen würde. Im Paper wurden allerdings nicht absorbierte Photonen vermessen sondern die Wahrnehmungsgrenze des Auges bei einer bestimmten Wellenlänge für verschiedene Parameter verglichen.

Wie kann es nun aber passieren, dass sich über $1040\;\text{nm}$ scheinbar die Wellenlänge des Lichts halbiert? Da gibt es im Prinzip mehrere Möglichkeiten, jedoch vermuten die Autoren, dass im betrachteten Fall die zwei-Photonen-Absorption (2PA) eine große Rolle spielt.

Bei der 2PA befinden sich zwei Photonen räumlich und zeitlich so dicht beieinander, dass sie beide von einem Molekül absorbiert werden. Ein Photon alleine hätte nicht genügend Energie um durch seine Absorption einen Energieübergang im Molekül auszulösen. Durch die gleichzeitige Absorption von zweien steht allerdings die doppelte Photonenenergie zur Verfügung! Daher können zum Beispiel zwei Photonen der Wellenlänge $1000\;\text{nm}$ denselben Prozess auslösen wie ein Photon der Wellenlänge $500\;\text{nm}$. Das würde dazu führen, dass die Infrarotphotonen als ein grünes Photon wahrgenommen werden.

Zugegebenermaßen hatte diese Artikel jetzt auch etwas weniger mit Physik zu tun. Aber ich war doch recht fasziniert von dem Umstand, dass das menschliche Auge auch Strahlung außerhalb des sichtbaren Spektrums wahrnehmen kann. Ganz abgesehen davon, dass im Auge scheinbar ein Prozess (Zwei-Photonen-Absorption) stattfindet, der sonst eher bei Dingen wie Multiphotonenspektroskopie oder dopplerfreier Sättigungsspektroskopie eine Rolle spielt.

Man muss nur genau genug nachschaun, dann entdeckt man überall spannende Dinge.

 

Literatur

Goodeve, C.F., (1936) – Relative Luminosity in the Extreme Red. Vol. 155. 664-683.

Wald, G. (1945) – Human Vision and the Spectrum, Science  1012635, 653-658.

Griffin D.R., R. Hubbard, and G. Wald (1947) – The Sensitivity of the Human Eye to Infra-Red Radiation, Journal of the Optical Society of America  377, 546-553.

Feynman R. (1963) – Lectures on Physics, Chapter 35-1: „Color Vision“.

Dmitriev VG, et al. (1979) Nonlinear perception of infra-red radiation in the 800-1355 nm range with human eye. Sov J Quantum Electron 9(4):475–479.

Bowmaker J. K. and H. J. Dartnall (1980) – Visual Pigments of Rods and Cones in a Human Retina, The Journal of Physiology  298, 501-511.

Schnapf J. L., Kraft T. W., Baylor D. A. (1987) – Spectral Sensitivity of Human Cone Photoreceptors, Letters to Nature, 325, 439-441.

Palczewska, G., Vinberg F., Stremplewski P., et al. (2014) – Human Infrared Vision Is Triggered by Two-Photon Chromophore Isomerization, Proceedings of the National Academy of Sciences  11150, E5445-E5454.

Johannes Horak
Johannes Horak hat sein Physikstudium an der Universität Wien mit Schwerpunkt Quantennanophysik abgeschlossen. Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Ernst-Mach-Institut auf dem Gebiet der Laser-Materie Wechselwirkung. Von Dezember 2015 bis Juni 2020 war er an der Universität Innsbruck tätig und beschäftigte sich mit der feineren Auflösung von globalen Klimamodellen in Gletscherregionen. Beginnend mit Juni 2020 arbeitet er für die Stadt Linz als Stadtklimatologe.

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